Fijáte 445

Die Auswirkungen des Freihandelabkommen zwischen den USA,
Mittelamerika und der Dominikanischen Republik (DR-CAFTA) auf den
Medikamentenmarkt und das Gesundheitswesen in Guatemala
Der folgende Artikel berichtet von einer Forschungsstudie, die im August diesen Jahres in der wissenschaftlichen Zeitschrift Health Affairs veröffentlicht wurde, und zeigt auf, wie die Freihandelsabkommen zwischen den USA und Zentralamerika (DR-CAFTA) den Handelspartnern der USA den Zugriff auf lebenswichtige Medikamente einschränkt und zum Kauf von kostenintensiveren Produkten verpflichtet. Dies könnte insoweit für Europa von Bedeutung sein, da derzeit die EU über Handelsabkommen (Acuerdos de Associación) mit Mittelamerika verhandelt. Der Originaltext wurde von Health Affairs im Internet veröffentlicht (http://content.healthaffairs.org). Das DR-CAFTA ist ein Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten, Costa Rica, der Dominikanischen Republik, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua und sorgte in allen beteiligten Länder für Proteste. Das Abkommen garantiert nämlich US-Firmen den unbeschränkten Zugang zum Markt dieser mittelamerikanischen Länder, welche bis 2015 alle Importhürden für US-Produkte abgebaut haben müssen. Doch gerade die Importregulierung ist ein wichtiges Instrument vieler mittelamerikanischer Länder, um die wirtschaftliche Entwicklung im eigenen Land zu schützen. Weiterhin, wie besagte Forschungsstudie darstellt, werden lebenswichtige Generika-Medikamente, die weitaus kostengünstiger sind als die originalen Medikamente bekannter Marken, denjenigen vorenthalten werden, die zu den ärmsten Menschen der westlichen Hemisphäre gehören. Zunehmend ist es für Guatemala unmöglich, kostenreduzierte Medikamente zu produzieren oder zu importieren. Dies wird durch die Bestimmungen der Freihandelsabkommen bezüglich des Urheberrechts der Medikamente, welche von der pharmazeutischen Industrie der USA aufgezwungen werden, verhindert. Dementsprechend steht das Gesundheitswesen Guatemalas, dem jegliches Geld fehlt, vor immensen Kosten, die sich teilweise um bis zu 846% erhöhen. Dies betrifft wichtige Medikamente, die Krankheiten wie Diabetes oder HIV/AIDS behandeln. Personen, die an HIV oder AIDS erkrankt sind, geben zu, dass sie die Restriktionen umgehen, und versuchen, sich die benötigten Medikamente auf andere Art und Weise zu beschaffen. Ellen Shaffer und Joseph Brenner, die AutorInnen der Forschungsstudie des Zentrums zur Analyse von Handelspolitiken und Gesundheit (CPATH), rufen jetzt die Regierung Obama dazu auf, die Handelsabkommen zu überarbeiten, da sie die Kosten von Medikamenten nicht nur in armen Ländern wie Guatemala verteuert, sondern auch in den USA selbst. Die Forschungsstudie ergab, dass ein/e ArztIn im vollem Bewusstsein Behandlungen verweigert, die das Leben eines armen Patienten oder einer Patientin retten könnten – nur um des Profites willen. Allerdings könnten er/sie deshalb des Mangels an Berufsethos beschuldigt werden. Es stehen sich auf der einen Seite die Pharmaindustrie und US-Beamte, die Gesetze zum Datenschutz erlassen, und andererseits Gruppen, welche die Rechte der PatientInnen zu schützen versuchen, gegenüber. Letztere setzen sich gegen jene Normen ein und schafften es, dass Guatemala in fünf Gelegenheiten zwischen 1995 und 2005 die Datenschutzgesetze revidierte. Da ist zum Beispiel die Organisation Mujeres Positivas, welche die Rechte von HIV- und AIDS-infizierten Frauen vertritt. Sie fordert zur Zeit die Derogation von nationalen Gesetzen, welche Datenschutz bezüglich Medikamente auferlegen. Nach verschiedenen Interviews mit BeamtInnen des Gesundheitswesen und AktivistInnen in Guatemala kamen Shaffer und Brenner zum Schluss, dass kein Wechsel in der Politik der USA abzusehen ist, aber eine Unterstützung der Regierung dazu verhelfen könnte, die nationalen guatemaltekischen Gesetze zu ändern. Weiterhin wurden die Normen der Datenexklusivität und Patente näher untersucht. Diese sind in den Bestimmungen über Urheberrechte im DR-CAFTA und anderen Freihandelabkommen enthalten. Es ist vor allem beunruhigend, dass diese Normen nicht nur verhindern, dass erschwingliche Generika-Medikamente auf den Markt kommen, sie sind ausserdem noch rückwirkend tätig und nehmen bereits existierende Generika aus den Regalen der guatemaltekischen Apotheken. Die Patente erlauben den MedikamentfabrikantInnen bekannter Marken wie Novartis und Merck, die Konkurrenz von HerstellerInnen von Generika aus der Welt zu schaffen, und dies in den USA sowie in anderen Ländern. Die Datenexklusivität ist ein Extrabonus für die Pharmaindustrie, die Millionen von Dollars verdient. Dies funktioniert anhand eines einfachen Prozesses. Die HerstellerInnen der Generika benutzen meistens die Daten der klinischen Tests, welche von den FabrikantInnen der bekannten Marken durchgeführt wurden, um die Sicherheit und den Wirkungsgrad ihrer Produkte zu demonstrieren. Jetzt verbietet das DR-CAFTA, dass diese Daten von den HerstellerInnen der Generika-Medikamente benutzt werden können, da sie durch ein Patent für eine bestimmte festgesetzte Zeit von mehreren Jahren geschützt sind. Manchmal gilt dieses Nutzungsverbot sogar noch, nachdem das Medikament einer bekannter Marke nicht mehr durch ein Patent geschützt wird. Und ohne die Daten können Generika-Medikamente nicht zugelassen und auf dem Markt verkauft werden. Es geht dabei um Medikamente wie Insulin, Antibiotika oder um solche, die bei Krebs oder AIDS eingesetzt werden, d.h. Medikamente die gleichzusetzen sind mit einer Entscheidung über Leben und Tod. Die Pharmaindustrie gleicht somit ihre Investitionen aus und schlägt darüber hinaus enormen Gewinn. Es ist klar zu erkennen, dass diese Normen der Datenexklusivität nicht aus wissenschaftlichen Gründen bestehen oder der Sicherheit wegen, sondern um ausländische Konkurrenz auszuschalten und die Gewinnspanne der US-Pharmaindustrie zu vergrössern. In besagter Forschungsstudie wurden 77 Medikamente, deren Daten geschützt sind, näher betrachtet. Dabei ergab sich, dass die Patente und der Datenexklusivschutz Auswirkungen auf die Wahl der zu kaufenden Medikamente der guatemaltekische Beamten des Gesundheitswesens haben. Diese fällt zwangsläufig auf Medikamente bekannter Marken, welche teilweise hunderte Male teuerer sind als die Generika-Medikamente. In anderen Fällen war eine Folge der Bestimmungen, dass der Verkauf von bestimmten Generika-Medikamenten in Guatemala von Anfang an verboten war. Einige Beispiele: • Das Insulin der Marke Lantus, hergestellt durch Sanofi Aventis U.S., kostet 50,31$ pro 100 ml (Preise von 2007), während seine Generikaversion, welche von Drogueria Pisa de Guatemala hergestellt wurde, nur 5,95$ kostet. Da aber Lantus bis 2016 durch die Datenexklusivität geschützt ist, werden die GuatemaltekInnenen weiterhin 846% mehr für dieses Produkt bezahlen, als sie für das örtlich fabrizierte Äquivalent zahlen würden. • Die gleiche in New Jersey ansässige Firma brachte ein Medikament, genannt Plavix, zur Vorbeugung von Herzinfarkten auf den Markt. Dieses ist in Guatemala durch Patente und Exklusivität bis 2019 geschützt, was zur Folge hatte, dass zwei Firmen, welche dieses Produkt bereits in Guatemala produzierten, das Markenregister entzogen wurde. • Das Medikament zur Behandlung von Leukämie, genannt Gleevec und hergestellt von Novartis, ist ebenfalls durch Patente geschützt, allerdings konnte man nicht feststellen bis zu welchem Jahr. Und bis dies nicht geklärt ist, wird man im Fall von Guatemala weder preislich erschwingliche Generika-Medikamente entwickeln noch verkaufen können. Die Forschungsstudie von CPATH veranschaulicht anhand empirischer Daten, wie DR-CAFTA und ähnliche Handelsabkommen schwerwiegende Folgen für die Handelspartnerländer verursachen. Diese Abkommen sind in der Lage, nationale Gesetze ausser Kraft zu setzten; Gesetze, welche den Import von Medikamenten zu günstigeren Preisen erlauben oder auf eine andere Art die Kosten verringern könnten. Die pharmazeutische Industrie nimmt auch an internationalen Prozessen teil, in denen es um Abmachungen geht, welche die Medikamentenpreise senken könnten und Patentgesetze sowie die Rechte der Länder, Export- und Herstellungslizenzen von Generika zu vergeben, betreffen. Ausserdem sitzen laut CPATH 27 VertreterInnen der Pharmaindustrie in mehreren US- Handelsberatungsausschüssen und 4 sind Teil des wichtigsten Ausschusses, dem für Handels- und Verhandlungspolitiken (ACTPN). Des Weiteren setzte die USA Guatemala mehrere Male auf eine Liste (dem Special Report 301 der United States Trade Representative), in der diejenigen Länder vorkommen, die wegen Verletzung von Urheberrecht aufgefallen und deshalb zu beobachten sind. Die Freihandelsabkommen und der Druck der USA führen dazu, dass sich Regierungen wie die von Guatemala in die Polizei der Pharmaindustrie verwandeln und dabei ihre Mandate in Bezug auf den Schutz des Gesundheitswesens vernachlässigen. Dementsprechend erzeugen die Freihandelsabkommen nicht wie vorgesehen einen freien und konkurrenzfähigen Markt, der auf lange Sicht die Kosten für alle verringert und die nationale Souveränität beschützt. Das Beispiel des DR-CAFTA sollte uns dabei helfen, in zukünftigen Freihandelsabkommen die Themen Gesundheitswesen und Menschenrechte zu priorisieren. Durchscheinende Transparenz bei der Wahl der Richter des Obersten
Gerichtshofs (CSJ)

Guatemala, 29.Sept. Die wichtigsten Menschenrechtsorganisationen Guatemalas nennen es einen „Meilenstein
in der Geschichte Guatemalas“. Gemeint ist das Verfahren zur Wahl der 13 RichterInnen des Obersten
Gerichtshofs (CSJ) durch den Kongress und die vorherige Auswahl aus mehreren Hundert KandidatInnen durch
die Auswahlkommissionen des CSJ.
Ein transparentes und öffentliches Verfahren auf der Basis des neuen „Gesetzes über Auswahlkommissionen“
(Dekret 19-2009) soll dafür sorgen, dass nur jene JuristInnen diese wichtigen Aufgaben wahrnehmen, die
unabhängig, professionell und moralisch einwandfrei sind. Unterstützung erhielt dieses Anliegen durch eine
Verfügung des Verfassungsgerichts (CC), das bereits im ersten Auswahlverfahren, das am Wochenende vom 19.
bis 21. September stattfand, öffentliche Sitzungen anmahnte.
Dennoch haben sich die Kommissionen zur Vorauswahl für die 26 JuristInnen, die dem Kongress vorgeschlagen
wurden, nicht immer an diesen Beschluss der 1. Zivilen Kammer des Verfassungsgerichts gehalten. Estuardo
Gálvez, Vorsitzender der Kommission des CSJ und Rektor der Universität San Carlos (USAC), erklärte nach
Verkündigung der 26 vorausgewählten KandidatInnen, dass die erstmalige Anwendung des Gesetzes
zufriedenstellend verlaufen sei, obwohl es durchaus etwas zu verbessern gäbe. Er verneinte, dass es vorgängige
Absprachen über die KandidatInnen gegeben habe. Hätte es solche gegeben, dann hätte die Auswahl nicht so
lange gedauert.
In der Tat haben sich die Mitglieder der Kommission den ganzen Sonntag bis Montag in der Früh abgemüht, die
26 Namen auszuwählen. Übrigens wurden keine/r der drei RichterInnen des aktuellen Gerichtshofs, die sich
ebenfalls bewarben, in die engere Wahl aufgenommen.
Helen Mack, Direktorin der Stiftung Myrna Mack und der Bewegung Pro Justicia, sagte, dass keinE KandidatIn,
gegen die starke Bedenken formuliert worden seien, unter den verbliebenen AspirantInnen sei.
Nachdem in diesem Vorauswahl-Verfahren die Transparenz noch nicht optimal war, forderten am 24. September
die wichtigsten guatemaltekischen Menschenrechtsorganisationen in einer gemeinsam Erklärung vom Kongress,
dass dieser gewährleisten müsse, dass die Befragungen der verbliebenen JuristInnen öffentlich stattfinden
müssten. Sie legten zudem einen aus 20 Punkten bestehenden Fragebogen vor, anhand dessen die moralische
Integrität, Professionalität und Unabhängigkeit der JuristInnen von den Kongressmitgliedern überprüft werden
solle.
Die Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) hat sich die 26 KandidatInnen
schon genauer angeschaut und am 29. September in einem dringenden Appell den Kongress aufgefordert, acht
Personen aus der Liste zu streichen.
Carlos Castresana, Leiter von CICIG erklärte, dass die in der Erklärung namentlich genannten Personen
entweder fragwürdige Urteile in gesellschaftlich relevanten Gerichtsverfahren gefällt hätten oder es schwebende
Verfahren gegen sie gäbe bzw. sie in Aktivitäten verwickelt gewesen seien, die einen grossen Schaden
angerichtet hätten oder sie in der Gefahr stünden, ihre Unabhängigkeit durch persönliche wirtschaftliche und
politische Interessen zu verlieren. Daher seien sie „nicht geeignet für die Aufgabe eines Richters am Obersten
Gerichtshof“.

El Estor, 29. Sept. Undurchsichtige Ereignisse haben sich am vergangenen Sonntag (27.09.) und Montag
(28.09.) in El Estor, Departement Izabal, zugetragen. Sie stehen im Zusammenhang mit den
Auseinandersetzungen um den Nickelabbau in der Region (siehe ¡Fijàte! 423, 403, 389, 379, 374, 371, 291).
Klar ist, dass es am genannten Sonntag mindestens einen Toten, den Gemeindeführer und Dorfschullehrer
Adolfo Ich Chaman, und mehrere Verletzte gab und am Montag einen weiteren Toten, Martin Choc, Hilfs-
Bürgermeister des Lote 8, Munizip Panzos, sowie neun Verletzte, darunter der Mitarbeiter der
Menschenrechtsorganisation Rights Action, Raul Caal.
Über die sonntäglichen Ereignisse kursieren in den Medien unterschiedliche Versionen. Hintergrund ist in jedem
Fall der Landkonflikt zwischen den LandbesetzerInnen in El Estor und der Guatemaltekischen Nickelkompanie
(CGN), dem lokalen Ableger des kanadischen Minenunternehmens HudBay Minerals Inc., der bereits zweimal
in gewaltsamen Räumungen eskaliert war (¡Fijàte! 377).
Die Gouverneurin des Departements Luz Maribel Ramos war gemeinsam mit Angehörigen der Zivilen
Nationalpolizei
(PNC) und privaten Sicherheitskräften der Firma CGN in die Gemeinde Las Nubes gekommen,
um BewohnerInnen anzuweisen, das Land zu verlassen. Seit vielen Jahren ist der rechtliche Status des Landes
umstritten. Als Begründung für ihre Entscheidung zugunsten der CGN soll sie angeblich gesagt haben: „Ihr zahlt
keine Steuer, die CGN schon!“ Ein rechtlich verbindliches Schriftstück zur Räumung soll sie nicht vorgelegt
haben.
Die BewohnerInnen diskutierten mit ihr und erhielten schliesslich Unterstützung durch die Nachbargemeinde La
Union. Sie besetzten aus Protest gegen die mögliche Räumung die Strasse. Daraufhin verliessen die
Gouverneurin und ihr Gefolge das Geschehen.
Sowohl die Tageszeitung Prensa Libre wie der Nachrichtendienst Cerigua, aber auch Daniel Pascual von
Komitee für BäuerInneneinheit CUC, sprechen davon, dass „Banditen“ sich unter die Protestierenden gemischt
und schliesslich die Polizeistation überfallen und Gewehre erbeutet hätten. Dabei seien fünf Sicherheitskräfte
verletzt worden. Die Minengesellschaft behauptet auch, dass ein von ihr und einer US-amerikanischen
Nichtregierungsorganisation eingerichtetes Krankenhaus überfallen und Sachschäden angerichtet worden seien.
Eben jene „Banditen“, von denen die in der Prensa Libre zitierten BewohnerInnen sagten, sie kämen aus der
Gemeinde El Chupón, sind laut CGN/HudBay für den Tod von Alfredo Ich Chaman und die Verletzten
verantwortlich.
Was für eine stärkere Militanz der BesetzerInnen sprechen könnte, wären einerseits ihre unverhohlene Drohung
mit „drastischen Massnahmen“, wenn die CGN nicht bald abziehen würde (Presseerklärung einiger
BesetzerInnen vom 11. September 2009, abgedruckt unter anderem in:
http_//.solidaridadconguatemala.blogspot.com/./comunicado-de-prensa-comunidades-de-el.html).
Ein Zeichen zunehmender Militanz der BesetzerInnen könnten aber auch die Angriffe auf Daniel Vogt sein, ein
US-amerikanischer Priester von der Vereinigung von El Estor für integrale Entwicklung (AEPDI) bzw. der
Defensoria Q'ekchi. Vogt hat wiederholt für einen Dialog mit CGN geworben, nun wird ihm vorgeworfen, nicht
mehr die K'ekchi zu verteidigen, sondern die Minengesellschaft. Das Muster, dass wer nicht hundertprozentig
für eine Seite ist, hundertprozentig gegen diese sein müsse, ist ein leider altbekannter Weg der
Auseinandersetzungen in sozialen Bewegungen in Guatemala. Wenn es also möglicherweise Spaltungen
innerhalb der Gemeinden in El Estor gibt, so scheint es doch recht unwahrscheinlich, dass ein derart angesehener
Gemeindeführer wie Alfredo Ich Chaman sozusagen von eigenen Leuten ermordet wird.
Daher sind – auch aufgrund der in vorherigen ¡Fijate!-Ausgaben (v.a. 377) geschilderten Vorkommnisse –
diejenigen Informationen plausibler, die aus den Reihen sozialer Bewegungen (AVANCSO, FNL), den
LandbesetzerInnen sowie der Menschenrechtsorganisation Rights Action über die sonntäglichen Ereignisse
stammen. Sie schreiben, dass Alfredo Ich Chaman von privaten Sicherheitskräften der CGN regelrecht
hingerichtet worden sei. Chaman habe sich zuvor, als die Gewalt der Security gegen ihn und seine
MitstreiterInnen eskalierte, schützend vor seine bedrohten SchülerInnen gestellt. Neben den von der
Minengesellschaft angeheuerten Sicherheitsleuten sollen, so eine Mitteilung der (BesetzerInnen-)Gemeinden,
auch Angehörige der PNC und Pistoleros der lokalen Grossgrundbesitzer Wöhler und Chilanos anwesend
gesehen sein bzw. mitgemischt haben.
Was die Ereignisse vom Montag angeht: Rights Action hatte einen Workshop in Coban, Alta Verapaz,
organisiert, bei dem es um den Umgang mit Zwangsräumungen und ähnlichen Notfallsituationen gehen sollte.
Einige VertreterInnen der widerständigen Gemeinden in El Estor sowie des Lotes 8 im Munizip Panzos, Alta Verapaz, machten sich per Minibus auf den Weg nach Coban, als sie in der sog. Teufelskurve zwischen La Tinta und Tucuru von Maschinengewehrsalven angegriffen wurden. Dabei starb Martin Choc, neun weitere Personen wurden verletzt, drei davon schwer, darunter auch Raul Caal von Rights Action, der im Hals getroffen, operiert werden musste und sich in schlechtem gesundheitlichen Zustand befindet. Diese Begebenheit erinnert befremdlich an die üblichen Formen der Bedrohungen von politisch aktiven Personen in Guatemala. Die „verworrenen Ereignisse“ (i-dem) insbesondere vom 27.09. werden sicher nicht das Ende des Konfliktes sein. Hunger in Guatemala – ein Beitrag in den ARD-Tagesthemen Hamburg

29. Sept. Guatemala 'erobert' die wichtigste Nachrichtensendung im Deutschen Fernsehen. Stephan Hallmann,
Korrespondent für Mittelamerika, berichtet über den Hunger in Guatemala. Er zeigt unterernährte Kinder. Eines
der gezeigten Kinder – so Hallmann aus dem Off – sei am nächsten Morgen gestorben. Verzweifelte Mütter oder
Grossmütter weinen in die Kamera und verstehen nicht, was ihnen geschehen ist.
Dürre durch die globale Klimakatastrophe und finanzielle Not durch die globale Finanzkrise. Präsident Alvaro
Colom sagt es in seiner Fernsehansprache, die ganz kurz im Film gezeigt wird. Von den hausgemachten
Problemen spricht er nicht, sondern der Korrespondent: die Regierungen der letzten Jahrzehnte hatten die
exportorientierten Grossgrundbesitzer unterstützt und die KleinbäuerInnen und mit wenig oder allenfalls
gepachtetem Land vernachlässigt. Ja, so ist es.
Warum bleibt einem als ZuschauerIn des Beitrages trotzdem ein unwohles Gefühl? Weil Guatemala es nur in die
Medien schafft, wenn es Hunger oder eine Überschwemmung gibt. Und weil es die ZuschauerInnen hilflos
zurücklässt. Nicht dass es leicht wäre, diese Gefühle nicht zu haben angesichts dessen, was in Guatemala
geschieht. Aber gelegentlich würde man auch in den deutschen Mainstream-Medien mal etwas über erfolgreiche
Kämpfe um Land, über MenschenrechtsaktivistInnen oder – warum nicht? – etwas über Fortschritte bei der
Demokratisierung der Justiz sehen.
Die JournalistInnen sollten mal ¡Fijáte! lesen . .

¡Híjole.! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo

Kollateralschäden
Es ist nicht dasselbe, über Hunger zu reden oder hungrig zu sein, einer Generation von Hungernden anzugehören und in der Misere zu leben. Ich spüre etwas wie Scham beim Schreiben dieses Artikels. Ich würde erschauern – und könnte vielleicht den Text nicht zu Ende schreiben –, würden mich in diesem Moment die ausgetrockneten Augen einer Person anschauen, die nicht mehr lächeln kann und keine Antwort hätte, wenn ich sie nach ihrem Hunger fragen würde. Aber ich spüre auch Wut, und diese lässt mich weiterschreiben. Noch nie gab es so viele Hungernde auf der Welt wie heute, Tendenz steigend. Letztes Jahr sprach die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) von 925 Millionen, heute spricht die Direktorin des Welternährungsprogramms (WFP), Josette Sheeran, von über einer Milliarde. Ebenso steigt die Anzahl der Hunderttausenden von Privathaushalten, die nicht über das Lebensnotwendige verfügen (Trinkwasser, Gesundheitsversorgung, Bildung etc.). Von den rund 6,5 Milliarden Menschen, welche die Weltbevölkerung ausmachen, leidet fast die Hälfte, 2,8 Milliarden, an Unterernährung. Es ist erstaunlich, welch grosser Kontrast zwischen dieser massiven Tragödie und der minimalen Bereitschaft besteht, Hilfe zu leisten. Dieses Jahr hat diese minimale Bereitschaft ein historisches Ausmass angenommen: Der Mangel an Geldreserven beeinträchtigt die Hilfsprogramme für Länder wie Guatemala, Kenia oder Bangladesh, wie Frau Sheeran sagte, und sie traut sich anzumerken, dass mit weniger als 1% der Geldspritzen, welche die Regierungen weltweit ihren Ökonomien einverleibt haben, um das globale Finanzsystem zu retten, der Hunger auf der Welt hätte beseitigt werden können. Es ist irgendwie schrill, dass dies in einer Gesellschaft geschieht, die auf der Akribie der Wissenschaft aufgebaut ist. Kann die Wissenschaft denn nicht die Gesetze der Realität erkennen und Entwicklungen voraussagen? Ist die Ökonomie denn nicht die Expertin für Zahlen und Prognosen? Ist die westliche Kultur nicht fanatisch in der Planung? Wenn dem so ist, weshalb wächst proportional zum Reichtum die Misere auf diesem Planeten? Man muss keine gescheiten Bücher studieren, um zu verstehen, dass die Güter für die einen reichlich vorhanden sind und für die anderen fehlen und dass der Überfluss und der Mangel in einer Beziehung von Ursache und Auswirkung stehen. Der Hunger und die Armut sind keine Naturphänomene, sondern sie sind sozialer Natur, auch wenn die Massenmedien es anders darstellen: Die Nachrichten über den Hunger erscheinen nicht auf denselben Seiten wie die Berichte über die Ausschweifungen der Reichen. Fast scheint es subversiv zu sein, die Begriffe „reich“ und „arm“ im selben Atemzug zu nennen. Wie wenn es zwischen ihnen keinen intensivsten Zusammenhang gäbe! Es gibt zehn transnationale Unternehmen, die zusammen 80% des Weltmarkts für Grundnahrungsmittel kontrollieren. Dazu gehören die Schweizer Nestlé, die französische Danone-Gruppe, die US-amerikanische Monsanto. Ihre spekulative Praxis, zusammen mit jener der Ölmultis, garantieren ihnen ausserordentliche Gewinne, die zunehmend die Kaufkraft der Bevölkerung übersteigt. Nahrung als soziales Gut interessiert sie nicht, sondern bloss der Profit, den sie daraus schlagen können. Es interessiert sie nicht, dass immer mehr Menschen aus den Handelskreisläufen gedrängt werden, die von ihnen kontrolliert werden. Sie bestimmen die Preise gemäss den Spekulationen der Finanzmärkte und nicht nach den Bedürfnissen der KäuferInnen. Kurz: „Die besitzlosen Massen, die sich an den Periferien von Asien, Afrika und Lateinamerika vermehren, entsprechen zuwenig den Basis-Standards des Konsums … um rentabel zu sein“ (Manuel Freytas, 18.09.09, socialismo-o-barbarie-org). Für diese Unternehmen sind die Menschen überflüssig. Sie sind einzig an den Ressourcen interessiert, an dem Land, auf dem diese Menschen miserabel leben oder sterben. Seit dem 9. September dieses Jahres verbreiten die lokalen Medien die Nachricht, dass der Präsident von Guatemala in Anwesenheit ausländischer DiplomatInnen (und es heisst gar, gedrängt vom US-amerikanischen Botschafter) den Notstand im sogenannten trockenen Korridor des Landes ausgerufen habe. In den darauffolgenden Tagen wurden die internationalen Solidaritäts-Beiträge aufgeführt, die Guatemala erhält. Gleichzeitig veröffentlichen die BewohnerInnen der vom Hunger am meisten betroffenen Gemeinden, Jocotán und Camotán, ein Protestschreiben, das nicht dieselbe mediale Aufmerksamkeit erhält: „Trotz Hunger und Armut, unter denen die Ch’orti’-Region leidet, werden unsere Forderungen von der Regierung ignoriert. Dafür werden die unternehmerischen Interessen unterstützt, welche die in der Region vorhandenen Ressourcen im Visier haben. Dabei werden unsere Rechte verletzt und unsere kollektive Entwicklung verhindert. … Wir wehren uns entschieden gegen eine Konzession für das Megaprojekt „Las Tres Niñas“, welches in seiner Umweltverträglichkeitstudie kein Wort über die Risiken und die Auswirkungen auf unsere Gemeinden, Territorien und auf unser Land verliert.“ (Communiqué vom 26.09.09) Die Gemeinden beziehen sich in ihrem Schreiben auf den Bau eines Wasserkraftwerks durch das Unternehmen „Las Tres Niñas S.A“, das gebaut werden soll, ohne vorher die davon betroffene lokale Bevölkerung zu konsultieren: 13 Dörfer, 3000 Familien, 18'000 Personen, etwa die Hälfte der Gemeinde Jocotán. Dieses Grosskraftwerk verändert die Geographie und somit die Lebensgrundlage der Bevölkerung und Grundlage für ihre Arbeit. Ebenso zerstört es den Pajcó-Kanal, der erst kürzlich erbaut wurde und einen beachtlichen Beitrag zur Entwicklung der Region leistet. Zur Erinnerung: Genau in diesem Gebiet wurde im Jahr 2001 der Notstand ausgerufen. Und genau dort sagte ein Vizepräsident, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnern will, zu einem unterernährten Kind: „Wie fesch du bist, ein bisschen Bewegungen tut dir gut.“ Dies sind die Kollateralschäden des Kapitalismus. Was würden die Medien sagen, die hierzulande von der Oligarchie kontrolliert werden, wenn all dies in Kuba, Venezuela, Ecuador oder Bolivien passieren würde? ¡Fijáte!
www.guatemala.de/Fijate
Redaktion:
Stephan Brües – [email protected]
Barbara Müller – [email protected] Wiebke Schramm – [email protected] Erscheint vierzehntäglich
Nachdruck mit Quellenangabe erwünscht
Herausgegeben von
Schweiz:
Abos:
¡Fijáte!

Source: http://www.guatemala.de/Fijate/Archiv/09/fij445.pdf

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