Werner Bartens: Heillose Zustände. Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht, Droemer/Knaur Verlag, München, 2012, ISBN-13: 978-3-426-27581-8, ISBN-10: 3426275813; 223 S. Format 208mm/ 130mm/22mm; Amazon-Preis für gebundene Ausgabe 18 Euro; neu- ab 14,00 Euro; gebraucht- ab 10,99 Euro.
Was ist die Medizin? Ist sie eine marktferne, dem Eid des Hippokrates treue und freie
Heilkunst? Ist sie eine theoretische Wissenschaft? Oder ist sie eher eine Marketing-Strategie und eine
Wissenschaftsredakteur der "Süddeutschen Zeitung", gibt, fällt ähnlich wie in seinen vorherigen Büchern ("Ärztehasserbuch", "Körperglück") aus: die moderne Medizin muss eine auf den Patienten Rücksicht nehmende freie und durch die wissenschaftlichen Forschungen fundierte Heilkunst sein; sie ist aber tatsächlich während der letzten Jahrzehnte zu einer florierenden, aber menschenfernen Wirtschaftsbranche verkommen, zu einer erfolgreichen, aber für Patienten zunehmend nutzlosen Marketingstrategie. Dieser Prozess einer zunehmenden Marktabhängigkeit der Medizin muß nach Bartens rückgängig gemacht werden. Der Autor zitiert den berühmten Arzt und Politiker des 19. Jahrhunderts Rudolf Virchow: "Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft, und die Politik ist nichts weiter als Medizin im Großen" (S. 191). Für Bartens, wie für Virchow sind die Probleme der Medizin eng mit den politischen Problemen verknüpft, in erster Linie mit dem Problem des Lobbyismus. Im Idealfall sollte die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung, als eine soziale Frage, im Vordergrund stehen ( S. 191).
Der ziemlich pessimistische Titel "Heillose Zustände" benennt nicht irgendwelche schweren
Krankheiten, sondern die Zustände der Medizin als eines gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilsystems, als einer Institution. In diesem Sinne ist das Buch von Bartens mehr soziologisch als medizinisch, obwohl der Autor selber ein studierter Arzt ist. Der Titel stellt sich also als eine Metonymie heraus. Der Ausdruck ist von der inhaltlich-diagnostischen Ebene der Medizin auf die Metaebene der Institutionen und der Gesellschaft geschickt übertragen. Man kann leicht bemerken, daß der Autor neben Medizin auch Germanistik studiert hat.
Die Medizin wird aber im Buch von Bartens nicht nur als ein Teilsystem der Gesellschaft
und Wirtschaft, sondern auch als ein Teilsystem der Kultur verstanden. "Es geht um die andere Kultur in der Medizin, um die Grundhaltung, die wir verändern müssen"- zitiert der Autor Hartwig Bauer (S. 74). Bartens steht mit diesem Buch (wie auch mit seinen anderen Büchern) in der Tradition der Medizinkritik und der vergleichenden Medizinanthropologie. Unter seinen Vordenkern nennt er die amerikanische Forscherin Lynn Payer, die die unterschiedlichen medizinischen Gebräuche in den USA, Frankreich und Deutschland in ihren Arbeiten scharfsinnig beschrieben hatte. Wir könnten das Werk von Bartens auch in den weiteren Kontext der Kulturkritik (wie bei S. Freud), der Gesellschaftskritik (wie bei H. Marcuse) und philosophischer Medizinarcheologie (wie bei M. Foucault) stellen.
Im ersten Teil des Buches zeigt uns der Autor, daß die Medizin im Laufe der letzten
Jahrzehnte zunehmend ökonomisiert und industrialisiert wurde. Er denkt die Medizin im Grunde als eine von der Wirtschaft unabhängige freie Disziplin, als eine in erster Linie soziale Wissenschaft. Der Merkantilismus in der Medizin empört den Autor stark. Es ist klar, daß die Medizin als freie Kunst, wie die anderen freien Künste auch, vermarktet werden muß. Die Frage ist aber, in welchem Maße man dies tun soll? Diese Frage ist aber eher philosophischer Natur und heißt genauer: in welchem Maße kann und muss überhaupt eine freie Kunst (und erst recht eine "soziale Wissenschaft") den Gesetzen des Marktes unterworfen werden? Der Autor geht hier auf die folgenden Themen ein: die Marketing-Strategien der Pharmakonzerne, die die gesamte Medizin instrumentalisieren; der Lobbyismus der Pharmaindustrie in der Politik; die Arten und Weisen, wie die Pharmaindustrie ihre Profite zu erreichen sucht. Zu den letzteren zählen die Erfindung von
Krankheiten (wie etwa Alzheimer, Depressionen, Bipolare Störung, "Female Sexual Disorder" und viele andere), die Minderung der biologischen, für eine Diagnose relevanten, Grenzwerte, sowie die überflüssigen, nicht ausreichend bewiesenen Behandlungs- und Diagnose-Methoden.
Im zweiten Teil kritisiert der Autor den Überfluß an verordneten Medikamenten, speziell in
Deutschland (den positiven Gegenpol stellt Norwegen dar). „Weniger ist mehr!“- das ist hier das Motto des Autors. Anders ausgedrückt: die Medizin muss irgendwie zurück zur traditionellen und auf die Bedürfnisse des Patienten ausgerichteten Handkunst. Die Kritik der zunehmend steigenden Quantität der medizinischen Leistungen mit deren parallel laufenden Qualitätsminderung hängt offensichtlich mit dem Problem der zunehmenden Ökonomisierung und Merkantilisierung der Medizin als Gesamtsystem zusammen. Wenn die Medizin schon ökonomisiert werden muss (was uns die Pharmaindustrie eintrichtern möchte), dann ist der Überfluss an Leistungen mit nicht immer bewiesener Nützlichkeit nur logisch. Hierbei geht der Autor auf folgende Aspekte ein: die aggressive Werbung der Pharmakonzerne; "Überdiagnostik" (wie frühe Mammographie); überflüssige OPs in einigen Krankenhäusern, welche nur des Profits wegen vorgenommen werden; medizinische Maßnahmen, die nur im Namen der Technikamortisierung durchgeführt werden; zweifelhafte Arzneimittel, die nicht in ausreichendem Maße den Kontrolluntersuchungen unterzogen werden, sowie das Problem der Überversorgung generell. Der Autor versucht zu zeigen, daß in der Medizin mehr Quantität weniger Qualität bedeutet. Er fordert, das Verhältnis zwischen diesen Kategorien in der Medizin umzukehren (S. 73-76).
Im dritten Teil berührt der Autor das heikle Thema der so genannten "IgeL" (individueller
Gesundheitsleistungen) und der "individualisierten Medizin" im Ganzen. Er zeigt, daß das Konzept der "individualisierten Medizin" im Grunde genommen eine Marketingstrategie ist, die wenig gemeinsam mit der Sorge um das Patientenwohl hat.
Am interessantesten ist wohl der vierte Teil des Buches, wo Herr Bartens an vielen
Beispielen zeigt, wie man neue Krankheiten erfindet, um mehr an Medikamenten und anderen medizinischen Maßnahmen verdienen zu können. Manche Beispiele werden vielleicht strittig erscheinen, im Großen und Ganzen aber steht hier ein überzeugendes und erschreckendes Bild des industriellen Betruges vor uns, in dem auch manche Wissenschaftler mit ihren durch Konzerne bezahlten "Forschungen" mitspielen. Wir können noch begreifen, daß die weiblichen "Wechseljahre" medikamentös gelindert werden dürfen; die erfundenen männlichen "Wechseljahre" sind dagegen weniger leicht nachzuvollziehen. Der Autor schreibt von einer "Pathologisierung der Lebensläufe" und einer "Krankredung der Menschen" (S. 92). Parallel zu der Erfindung der neuen Krankheiten gewinnen die Konzerne auch neue Klientel für die schon bestehenden (S. 93). Außerdem werden, wie schon gesagt, die Grenzwerte gesenkt, um einen behandlungswürdigen Zustand zu suggerieren (Bluthochdruck, Cholesterinspiegel u.a.). Unter anderem zeigt Bartens, daß auch Alzheimer keine Krankheit, sondern ein gezielt geschaffenes Konstrukt ist, mit dem sich riesige Märkte für Medikamente schaffen lassen. In diesem Zusammenhang weist er auf das Buch von Cornelia Stolze hin (S. 94). Ebenso nennt der Autor auch die Depression als ein zweites Beispiel für eine erfundene Krankheit ("die Medikalisierung der normalen Traurigkeit") (S. 95). Im Kontext von erfundenen Krankheiten spricht der Autor auch über Cellulitis, über "Female Sexual Disorder", über die so genannte "Sozialphobie", über ADHS (S. 97), über die "Erektile Disfunktion" und über das "Restless-Legs-Syndrom" (S. 98). Hier stützt er sich auf die Forschungen von Steven Woloshin und Lisa Schwartz, die zeigen, daß die statistischen Zahlen bewußt erhöht wurden. Im Fall der "Female Sexual Disorder" orientiert sich Bartens auf die Arbeiten von Leonore Tiefer über die Pathologisierung der weiblichen Lust (S. 99). Insbesondere betrachtet der Autor die psychischen Störungen wie die Bipolare Störung (das Manisch-Depressive Leiden), die natürlich auch einen Marktsektor für die Pharmaindustrie bilden (S. 100). Es zeigt sich dabei, daß der Nutzen der Psychopharmaka in vielen Fällen wissenschaftlich nicht ausreichend bewiesen ist (S. 101). Wenn wir alle Ergebnisse der offiziellen statistischen Forschungen addieren, dann ergibt sich das paradoxe Bild, dass 210 % der Deutschen an Panikattacken, Angststörungen, Süchten, Demenzen, Depressionen und Schizophrenie leiden, wie der Autor schmunzelnd erwähnt (S. 101). Das Übergewicht bei Kindern, die Fibromyalgie und der Überfluß an Multivitaminen als bewußt
eingeführte Marketing-Konstrukte finden in Bartens auch einen scharfen Kritiker (S. 102, 103, 104, 112).
Im fünften Teil geht der Autor auf das Thema Schweinegrippeepidemie ein. Hier spricht er
von der sogenannten "Tamiflu-Lüge". Bartens unterstellt dem Tamiflu-Hersteller - dem französischen Pharmakonzern Roche - daß dieser bewußt die Studienergebnisse über das umstrittene Präparat zurückgehalten hat, wobei sich die weichen Arzneimittelzulassungsgesetze in Deutschland als sehr nützlich erwiesen haben. Das Unterschlagen von relevanten Daten stellt sich in der Pharmaindustrie überhaupt als ein chronisches Problem dar (S. 125). "Wer will schon seinen Goldesel schlachten?" - ironisiert der Autor. Ähnliche Probleme wurden laut Bartens auch bei dem Impfstoff Pandemrix entdeckt (S. 132). Die Experten, die vor der Pandemie gewarnt haben, unterhielten eine enge Verbindung zu der Pharmaindustrie (S. 130).
Im sechsten Teil zeigt der Autor einerseits wie die Politik und die Pharmakonzerne mit Hilfe
der Statistik die öffentliche Meinung manipulieren (Beispiel: Prostata-Krebs – S. 145). Andererseits zeigt er, daß die Ärzte selbst an (nicht nur statistischem) Analphabetismus leiden (S. 142) und gerne die Rolle der hochbezahlten Pharmareferenten ("Mietmäuler") übernehmen (S. 155-157).
Von allen oben beschriebenen Problemen rührt der Umstand her, daß Patienten, die mit den
medizinischen Institutionen zu tun haben, sehr vielen ernst zu nehmenden Gefahren ausgesetzt sind. Die größte Gefahr für die Patienten stellen die von den Ärzten begangenen Fehler bei Operationen und in der Diagnostik dar (S.171). Unangenehme Überraschungen bereiten den Kranken aber auch diverse medizinische Produkte wie Hüftprothesen, künstliche Kniegelenke und natürlich allerhand Arzneimittel. Zum Beispiel forderten die neuen (nicht ausreichend geprüften) Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen in den USA mehr Opfer als es der Vietnamkrieg getan hatte (S. 183). Über die zahlreiche Gefahren, die auf die Patienten lauern, spricht Herr Bartens im siebten Teil des Buches. Hier findet er auch Gelegenheit, seine Kritik an den FDP- Gesundheitsministern zu äußern (S. 163).
„Was tun?“, fragt sich der Autor im achten und letzten Teil des Buches. Etwas müsse doch
getan werden, denn "wer alle medizinische und politische Zusammenhänge sieht, die in diesem Buch beschrieben werden, müßte laut aufschreien und sich lange vor Schmerzen winden" (S. 187). Der Autor schlägt eine ganze Reihe von Verbesserungen vor:
Das psychosomatische Denken müsse bei den Medizinern gestärkt werden und auf die
Psyche des Kranken mehr Rücksicht genommen werden.
Man müsse aufhören, sich ausschließlich auf die Technik zu verlassen. Der Mensch sei doch
Die Bezahlung der Ärzte müsse leistungsabhängig werden.
Der Patient dürfe mehr Transparenz erwarten und den Zugang zu allen relevanten Daten
Die praktische Medizin müsse mehr wissenschaftsgebunden werden, die Ärzte müssten mit
den Ergebnissen der modernen medizinischen Forschungen Schritt halten. "Evidenz statt Eminenz!"
Es müsse die so genannte "Positivliste" der Arzneimittel erschafft werden, die anstatt der
jetzigen 60000 verschreibungspflichtiger Medikamente nur 1500 Titel enthalten würde.
Die etwas radikal anmutende Forderung, dass eine Anzahl von Behörden, Krankenkassen
und sogar das Gesundheitsministerium abgeschafft werden müssten (S. 191).
Die Medizin müsse also preiswerter, effektiver und sozialer werden, wie es bereits im
neunzehnten Jahrhundert Rudolf Virchow gefordert hatte.
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El desarrollo de las personas como herramienta de gestión Las reflexiones que deseo proponerles toman en cuenta el valioso contenido del documento publicado por UNIAPAC: “La rentabilidad de los valores. Una vision cristiana de la Responsabilidad Social Empresarial.” Puesto que “estrictamente hablando, la “Responsabilidad” puede ser solamente aplicada a las personas, y no a cualquie